29. August … komm, wir gehen Arten gaffen…

Gestern mit den Kindern im Zoo gewesen. Das zweite Mal waren wir jetzt dort und jedes mal geh ich da mit gemischten Gefühlen wieder raus. Die hohen Eintrittspreise nimmt man ja irgendwie noch als „normal“ an, Tiere sind nun mal teuer. Ich beobachte schon die ganze Zeit die Flamingos, welche man schon von vor den Toren des Zoos aus sehen kann. Wir stehen an einer der Kassen an, bezahlen dann unser Eintrittsgeld und organisieren noch einen Rollstuhl für unsere Begleitung. Nach einer Fuß – Op auf Krücken angewiesen, nehmen wir das Angebot wahr und leihen uns vor Ort die rollbare Sitzgelegenheit aus. Sicher ist sicher. Ich knipse das zweite Bild von den Flamingos und stelle fest, dass sich scheinbar keiner von denen in der Zwischenzeit bewegt hat. Wie betäubt stehen sie einbeinig da und starren in die Luft. Als erstes durchqueren wir das Affenhaus. Hinter dicken Scheiben turnen die Orang –  Utans lustlos rum. Man sieht zwischendurch, wie sich ihre Münder bewegen, hört aber keinen einzigen Laut. Trifft man den Blick von einem dieser Tiere, dann treffen einen traurige Augen.

Als nächstes gehts abwärts ins Aquarium. In einem großen Raum sind in den Wänden Aquarien eingebaut. Zum Teil riesig, dazwischen kleine. Als Raumteiler stehen mittig viele kleine Wasserbecken. Wir laufen den Rundgang, von Scheibe zu Scheibe im fast dunklen Raum, der praktisch nur durch die Aquarienbeleuchtung erhellt wird. In einem Becken schweben mehrere, riesige Fische durch das Wasser. Sie berühren sich nicht untereinander, haben aber auch nicht den Platz, sich von der Stelle zu bewegen. Ich verrenke mir den Hals, um zu sehen, ob das Becken tatsächlich nicht irgendwo weiter geht. Nichts. Dieses Loch ist wirklich alles, was den kleinen Riesen zur Verfügung steht. Keine Pflanzen, keine Steine, nackte Felswand.

Im Freigehege sehen wir einen Elefanten. Neugierig gehen wir in das Elefantenhaus, doch das ist leer. An den Wänden Bilder mit Lebenslauf von den einzelnen Elefanten. Auf einem klebt ein Zettel, der darüber informiert, dass die Elefantenkuh „Steffi“ 1966 in Indien geboren wurde, seit 1968 hier im Tierpark war und leider leider im Frühjahr 2018 hier verstarb. 52 Jahre wurde dieses Tier alt, wovon man es 50 Jahre in einem Rundbau mit – auf seine Größe bemessenen – kleinem Auslauf rund ums Haus eingesperrt hat. 50 Jahre ein betoniertes, künstlich angelegtes, kahles, nacktes Gehege, in dem die Tiere dank ihrer Größe schutzlos rumstehen und begafft werden. Wir umrunden das Haus und finden den Rest der Herde. Sie stehen dicht beisammen, nahe des großen Tores, durch welches sie aus dem Haus bzw in das Haus getrieben werden können. Auch von ihnen bewegt sich keiner und ich frage mich schweigend, wie alt sie wohl sind und wie viele solcher Jahre ihnen wohl noch bevorstehen…

Aufgeregt rennt mein Sohn Richtung Schildkrötenhaus. Auf der linken Seite ist ein großer Bereich abgetrennt. Pflanzen bedecken den Hintergrund und bilden kleine Inseln, sind aber durch Steine abgetrennt und eingefasst. Der Rest besteht aus festgestampfter Erde, auf der mittendrin zwei Riesenschildkröten liegen. Ihre Köpfe liegen schlaff auf dem staubigen Boden. Wir sehen uns die kleinen Terrarien auf der anderen Seite an. Eines davon ist etwa 50 mal 50 cm groß, wahrscheinlich sogar kleiner und ist über und über voll mit Schnecken. An den Wänden, am Boden, auf den Steinen und Holzteilen – überall kleben Schnecken in der Größe von Weinbergschnecken. Man fragt sich, was die da drin wohl den ganzen Tag machen. Übereinander kriechen, um ein wenig Bewegung zu haben? Beim rausgehen sehe ich, dass eine der Schildkröten ihren Kopf auf den Hals der anderen gelegt hat. Auch diese Tiere leben also, puh!

Wir verbringen noch sehr viel Zeit und sehen uns alle Gehege an. Wie wir erfahren, ist auch der Braunbär nach 41 Jahren Gefangenschaft gestorben. Ein stolzes Alter und doch frage ich mich, wie lebenswert diese kleine Ewigkeit hier in dem kleinen, sehr begrenzten Lebensraum war. Was passiert hier eigentlich mit den Instinkten der Tiere? Zu jagen, sich zu paaren – viele Tiere waren allein – , zu entdecken, weiterzuziehen? Nichts davon ist möglich. Verkümmern diese Triebe mit den Jahren oder träumen die Tiere davon, wenn sie – wie zu Stein erstarrt – im Gehege stehend oder liegend – vor sich hindösen?

Auf dem Weg zum Ausgang kommen wir am Haus der Nashörner vorbei. Auch dieses Haus ist leer. Wir umrunden es zwei mal, bis wir eines dieser Tiere entdecken. Es liegt am Ende einer Steinwand, von der es sich farblich kaum unterscheidet. Und da liegt es, irgendwie leicht verdreht und wie ein Haufen Schilder und Platten aussehend. Ich bleib einen Moment stehen und höre meine Begleitung fragen: „Ist das tot?“ Ein leichter Schauer durchzuckt mich und wir gehen schnell weiter Richtung Ausgang. Ich hab genug gesehen, genug Material für meinen Kopf, wie viel Recht der Mensch am Tier hat und ob es immer richtig ist, was wir tun.

Mein Bedarf an Zoo ist erst mal wieder gedeckt. Wir sperren Tiere ein, oft, um ihre Art zu erhalten und die paar letzten Exemplare zu schützen und bewahren. Doch zu welchem Preis? Und warum haben wir nicht das einfachste getan, um diese Tiere zu retten; ihren natürlichen Lebensraum erhalten und geschützt? Das ist, als würden wir unser Baby in eine Bananenkiste legen, es raustragen und dann sein Kinderzimmer zerstören. Wir erhalten das kleine Wesen, zerstören seinen Raum und feiern uns, dass wir es vorher gerettet haben. Würden wir das gleiche jetzt mit dem Baby machen, wie mit den Tieren im Zoo, dann würde es den Rest seines Lebens in einem Karton verbringen.

Am Ausgang geben wir den Rollstuhl zurück. Ein letzter Blick auf die Flamingos. Stehen die immer noch so da wie am Morgen? Ich bin gewillt, mein Handy zu zücken und den Anblick mit dem Foto zu vergleichen, lass es aber. Und entscheide mich, einfach zu gehen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Zum gefühlt hundertsten Mal entschuldige ich mich im Geiste bei diesen Wesen und eile meinen Kindern hinterher. Hoffentlich wollen sie nicht mehr so schnell wieder in den Zoo. Obwohl; ich glaub, dann erklär ich ihnen, warum wir das lieber sein lassen sollten…

 

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2 Kommentare zu „29. August … komm, wir gehen Arten gaffen…

  1. Hallo Nicole, puhh was für ein Text und du hast so recht. Gelinde gesagt du sprichst mir aus der Seele. Danke. Mir geht es genau so. Ich will jetzt gar nicht davon anfangen was mit den Tieren bei den sogenannten Zirkus Betreibern stattfindet. Das treibt mir die Tränen in die Augen …. ! Ganz bitter wird es, wenn man Tiere in freier Laufbahn schon in real gesehen hat. (Elefanten, Giraffen, Löwen usw.) Es ist alles so traurig. VLG Joachim

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    1. Joachim, ich war ganz nah dran, diese armen Tiere im Zirkus auch noch zu erwähnen, aber das hätte wohl eine Diskussion losgetreten, die hier den Rahmen sprengt. Tiere im Zoo zu bemitleiden, das finden viele schon kurios. „Warum, denen geht es doch gut. Die haben jeden Tag was zu fressen.“ Achso, Fressen ist alles! Ja dann… Schwieriges Thema. Umso mehr freue ich mich, dass Du mich verstehst! Dir eine gute Zeit. Lieben Gruß Nicole

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