9. November … am Ende sind wir nur wir selbst…

… ich bin so weit weg von mir selbst, ich vermiss mich schon…

Gestern schrieb ich meiner Therapeutin eine Email. Erklärte ihr meine Situation. Ab 15. Dezember arbeitslos. Zerstörte Existenz dank Jugendamt. Sie findet das schade, wo ich doch so um meinen Job gekämpft hätte. Hab ich das? Kämpf ich jetzt schon ohne es zu wollen, zu merken? Ich hab doch gar kein Schwert mehr…

Ich hab viel zu oft in meinem Leben nicht gemerkt, wie sehr ich kämpfe. Nahezu ein Reflex war das. Etwas nicht zu bekommen war lange keine Option für mich. Schon als Kind kämpfte ich um Aufmerksamkeit; ich wollte gesehen werden, bemerkt, anerkannt… Dann forderte ich Liebe und lernte diese unscheinbare aber doch fatale Lüge; Liebe muss man sich verdienen. Fortan hab ich um sie gekämpft… Dann kam der Kampf gegen mich selbst. Stehen bleiben, nicht in die Knie gehen, nicht aufgeben. Nicht sterben wollen, nicht so jung. Dem Ruf nicht folgen, dieses elende kleine Leben einfach zu beenden. Das Messer, die Rasierklingen, Tabletten wieder aus der Hand legen und es sich nicht so einfach machen. Wisst ihr was? Die Tatsache ist, dass sterben nicht einfach ist und keine feige Lösung. Wäre ich nicht so feige, dann wäre ich längst nicht mehr hier. Ich hasse nun mal Endgültigkeit…

Nach Kampf um Anerkennung, Sehnsucht nach Liebe und Tod und dem quälenden Trotzen gegen diesen bittersüßen verlockenden Rufen der Ewigkeit kam das Aushalten. Diese Welt, ihre Traurigkeit, ihr Schmerz, ihre unstillbare Sehnsucht nach mehr. Die Hoffnungslosigkeit in ihren dunkelsten Gassen und ihr unbändiger Wille, immer weiter zu bestehen. Morgens, wenn die Dämmerung die Dunkelheit besiegt, da gibt es noch diese kurzen Momente. Momente der Hoffnung, Zuversicht, Dankbarkeit. Die Hoffnung, dass es nie für immer dunkel bleibt, die Zuversicht, dass das Licht irgendwann länger bleibt als die Nacht und die Dankbarkeit, dass es immer, immer irgendwann wieder Tag wird…

Ich hab den Glauben nie verloren, das Licht in dieser Welt zu sehen. Erinnert ihr euch, eine Zeit lang habe ich sogar versucht, in ihm zu existieren. Inzwischen weiß ich, dass die Naivität irgendwann nicht mehr reicht, um sich länger vorzumachen, dass alles gut wird. Nichts wird gut, nichts, wenn man immer wieder nur enttäuscht, belogen, hintergangen, allein gelassen wird. Wieder am eigenen Leib erfahren durchs Jugendamt. Wieder mich selbst am meisten enttäuscht weil ich ihnen geglaubt hab. Mein Glaube war mal unbändig stark. Ist er vielleicht immer noch aber beschränkt sich nur noch auf mich selbst. Glauben heißt, etwas für möglich oder wahrscheinlich halten. Im religiösen heißt es Vertrauen. Vertrauen in Gott. Vielleicht vertraut man am Ende nur noch sich selbst, wenn Gott einen scheinbar verlassen hat…

Ich bin gefühlt so weit weg von mir selbst, ich vermiss mich schon. Und doch bin ich mir scheinbar treu geblieben. Ich war so sicher, dass ich nicht mehr kämpfe in diesem Leben. Vielleicht verteidigen, mit dem Schild, welches längst zerbrochen ist. Aber ein zerbrochenes Schild ist immer noch besser als gar keins. Aber kämpfen? Nie mehr, ich war mir so sicher. Und doch hab ich scheinbar genau das wieder getan; um unsere Existenz gekämpft, um unsere Würde, unser Recht; um ganz banale Dinge, die einem ohnehin zustehen würden… Ich hab mal wieder gekämpft und wie immer verloren. Aber immerhin, immerhin lebt dieser Teil noch in mir. Dieser kleine zähe Kämpfer, der ist noch da…

Bild von Marco Santiago auf Pixabay

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s