„Dann kämpf doch einfach!“
… wir sollten uns nie rausnehmen, jemandem zu raten, er solle doch einfach kämpfen. Niemand von uns weiß, wie zerstört, verletzt, erschöpft sein Gegenüber wirklich ist. Wie oft wurde er schon getroffen, wie tief schon verletzt, wie enttäuscht hat man ihn schon zurück gelassen… Weißt du, welche Wunden bis heute in mir bluten? Wie viele Narben da schon sind? Siehst du, wann ich kämpfe und bekommst du mit, wenn ich verlier? Glaubst du, mir wird alles geschenkt während du um alles kämpfst? Wie viel Weg ich schon auf meinen Knien verbracht hab, wie viele Kämpfe ich nackt und unbewaffnet gewonnen hab und wie viele Niederlagen sich in mein Herz gebrannt haben? Hast du eine Ahnung, wie schwer es war, irgendwann aufzuhören? Irgendwann die Vernunft aufzubringen, nicht mehr täglich aufzustehen, nur um kämpfen zu gehen? Sag, hast du auch nur den Hauch einer Ahnung, wie hart es war, den Mut aufzubringen. Nicht aufgeben, nein, sondern viel mehr erkennen, dass das Leben kein Kampf ist.
… erkennen, dass es Dinge gibt, für die man knietief im Dreck bis zum bitteren Ende kämpft weil man weiß, dass es sich lohnt. Und wissen, dass es Dinge gibt, die es einfach nicht wert sind. Sie sind es nicht wert, dass man für sie weit über seine eigenen Grenzen geht… Immer kämpfen, immer weitermachen, immer irgendwie aufrecht stehen bleiben, das ist das Eine. Aber sich wieder aufrichten, sämtliche Wunden heilen und die Narben lieben lernen, das ist das Andere. Das und dadurch die Liebe zu sich selbst finden, dass man genug ist auf dieser Welt auch wenn man nicht alles erreicht hat. Seine eigenen Grenzen kennen und nicht sich selbst, seine Gesundheit und zuletzt seine eigene Seele wieder und wieder nackt auf ein Schlachtfeld zu stellen nur um rauszufinden, ob man wirklich alles haben kann.
Nachts, wenn es still wird und selbst die Dämonen schweigen, dann weiß ich, dass ich alles erreicht habe, was ich erreichen musste. Meinen eigenen inneren Frieden. Und der ist so viel mehr Wert als so mancher Sieg. Wie viele Jahre meines Lebens lag ich nachts wach, fürchtete die Stille fast noch mehr als die Dunkelheit und kümmerte mich still um all die Wunden aus all den Kämpfen. Wie oft lag ich wach und wusste, der nächste Kampf, der da ansteht; der ist so sinnlos und einfach nicht zu gewinnen. Und doch brüllte das Tier in mir mit so viel Wut und Hass, wie ein hungernder Wolf, der Beute wittert und sich die Lefzen leckt. Er wusste, dass der Gegner viel zu groß war und die Aussicht auf einen Sieg noch nicht mal vorhanden. Aber da war dieser Hunger, der ihn wach hielt und sich wie betäubender Schmerz durch ihn hindurchbohrte. Und nach schlafloser Nacht stand er winselnd auf und rannte knurrend in die Schlacht. Weil er keine Wahl hatte, weil er Hunger hatte oder einfach weil es seine Natur war? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass mich irgendwann einer dieser Kämpfe zerstört hätte. Ich wär irgendwann als dieser einsame Wolf einem Rudel begegnet, welches mich restlos auseinander genommen hätte…
… wir sollten nie jemanden sagen, wie er sein Leben zu leben hat. Ob jemand kämpft oder nicht, ob jemand weint oder leise schluckt, ob jemand kniet oder aufrecht steht; solange du seine Gründe dafür nicht kennst urteile nicht. Wir alle müssen unseren Weg gehen. Und jeder muss für sich selbst rausfinden, wie er ihn gehen kann…
